Bänkelsang und Moritaten – Was ist was?

Pieter Schlotterdeich kann alles erklären – Foto: Olaf Hais

Oft werde ich gefragt: „Bänkelsänger? Nie gehört! Was ist denn das für einer?“

Also: Der Bänkelsänger heißt so, weil er auf – um auf dem Marktplatz besser gesehen zu werden – gern mal auf einem Bänkel, also einem Fußbänkchen stand – der besseren Sichtbarkeit wegen.

Bänkelsänger traten auf den Marktplätzen auf, bei Stadtfesten und überall dort, wo viele Menschen zusammenkamen. Ihre Bänkellieder erzählten Geschichten – und zwar möglichst dramatisch, spannend, rührselig oder lustig. Das läßt sich auch sehr schön verbinden, wenn nämlich eine rührselige Geschichte mit so erschröcklichen Reimen verhunzt wird, daß das Ergebnis lustig ist.

Auf die Themenauswahl legt der Bänkelsänger sehr viel Wert – nur die wichtigsten Ereignisse von allgemeinem Interesse werden behandelt: Mißbrauch unschuldiger Jungfern, brutale Morde an wohledlen Witwen, erschröckliche Bluttaten gewissenloser Meuchelmörder, Selbstmorde geläuterter Missetäter, gerechte Strafen für böse Buben und wahre Liebe in höchsten Kreisen, möglichst unter Beteiligung eines Aschenbrödels und eines Prinzen.

Wenn man also sagt: „Der Bänkelsänger war die Zeitung seiner Zeit“, so stimmt das nur zum Teil: Er war die BILD-Zeitung seiner Zeit. Politische Hintergrundberichte habe ich jedenfalls nirgends gefunden, auch kaum Wirtschaftsthemen (bis auf die eine oder andere Hungersnot) und keinerlei Literaturkritik.

Aber trotzdem: Der Bänkelsänger war der wichtigste Überbringer von Nachrichten. So erfuhr die einfache Bevölkerung, die nicht lesen und schreiben konnte, von Kriegen, Revolutionen, Machtwechseln und überhaupt allem, was in der Welt vor sich ging.

Zur Illustration des Gesungenen dienten Tafeln, auf denen die geschilderten Szenen in künstlerisch wertvoller Manier und sehr bunt aufgemalt waren. Um die Spannung zu erhöhen, waren diese Bilder aber nicht chronologisch aufgereiht, sondern durcheinander und der Sänger wies mit einem Stock auf das Bild, das gerade dran war. Bis ins 19. Jahrhundert zogen die Bänkelsänger von Ort zu Ort, um allüberall von schauerlichen Geschichten, und politischen Ereignissen (wenn sie aufregend genug waren) zu berichten. Bänkelsänger gehörten deshalb zum fahrenden Volk, waren also nicht so ganz respektabel, wenn auch unterhaltsam.

Hieronymus Hess (1799-1850) „Der Moritatensänger“

Moritaten heißen die Vortragstexte des Bänkelsangs.

Die Herkunft des Namens ist nicht wirklich geklärt. Wir können wählen, ob es wir das Wort aus dem Lateinischen: „erbauliche Geschichte“ herleiten wollen, oder ob wir es mit „Lärm und Schrecken“ aus dem Rotwelschen „moores“ bzw. jiddischen „mora“ übersetzen. Mag auch sein, daß das Wort einfach vom Lieblingsthema aller Bänkelsänger herrührt: Der Mordtat.

Möglich ist sogar, daß das Wort von Moralité, also Moral, herrührt. Denn einen Unterschied gibt es zur BILD-Zeitung: Die Bänkelsänger hatten immer ein Strophe in ihren Moritaten, die das Geschehen moralisch einordneten (denn wir erzählen ja nur von diesen schönen Morden und spaßigen Missetaten, weil wir sie so ablehnen, quasi als schlechtes Beispiel). Und wenn der Bänkelsänger mal die Moral von der Geschichte vergaß, dann wurde oft später auf Druck der Obrigkeit noch eine hinzugefügt. In vielen Städten mußten die Texte deshalb zuerst bei der Obrigkeit eingereicht werden.

Heute sind die Bänkelsänger nur noch auf den Theaterbühnen zu erleben, in Stücken von Wedekind oder Brecht. Manche Bänkelsänger verdienen sich heute ihr Brot als „Protestsänger“ oder „Liedermacher“ – zwei Begriffe, die auch schon fast so ausgestorben sind, wie der zugehörige Beruf.

Oder sie erzählen was von alten Zeiten, so wie der Bänkelsänger Balthasar Briesemuth Biedermann in Dresden.